Cornelius Obonya: »Man soll nicht jenem helfen, dem die Hilfe schaden kann«

[RU/DE]

…Als ich im letzten Sommer mit meiner Übersetzung und Bearbeitung des Mysterienspiels »Jedermann« von Hugo von Hofmannthal begann und zwar auf Grund der Inszenierung vom 22. August 1920 (Beginn der Salzburger Festspiele) konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich dadurch in die glückliche Lage kommen werde, meine Arbeit über dieses phantastische Werk vom Sinn des Lebens und Sterbens des reichen Mannes mit dem hervorragenden Darsteller Obonya zu besprechen. Nach der letzten Vorstellung des »Jedermann« auf dem Salzburger Domplatz gelang es mir, an einem der heißesten Tage dieses Sommers den Künstler beim Verlassen der Bühne zu treffen. Obonya zog eben sein verschwitztes Hemd aus und seine Assistentin reichte ihm ein Handtuch und einen Mantel. Der Künstler hatte sich völlig verausgabt. Er lacht, aber der Schweiß rinnt ihm in Bächen herunter.

— Herr Obonya, sie sind der Beste!
— Danke!
— Wann haben sie für mich Zeit, um mit ihnen in Ruhe zu sprechen?
— Morgen fahre ich nach Wien.
— Ich komme dorthin, wo sie sind.
— Schreiben sie mir auf mein Facebook und ich werde antworten.
— Abgemacht.
— Danke unbedingt.
— Ich bin Alexander
— Super, ich bin Cornelius. Auf bald!

Ich habe geschrieben und Cornelius hat geantwortet. Nach einem Monat haben wir uns in Wien getroffen. Ich konnte mich erneut überzeugen, je unereichbarer der Künstler in seinen Rollen ist, desto herzlicher und freundlicher ist er im Umgang mit Leuten.
Im Verlauf des eineinhalbstündigen Gesprächs hat mich nie das Gefühl verlassen, dass C.O. nicht nur meine Fragen beantwortet, sondern mir auch etwas sehr Wichtiges über mich selbst mitgeteilt hat. Nach dem eineinhalbstündigen Gespräch war ich ein anderer Mensch.

CO: Lass uns duzen. Hast du etwas dagegen?

AK: Ich bin sehr glücklich darüber.

CO: Ausgezeichnet! Ich höre aufmerksam zu.

AK: Die erste und wichtigste Frage betrifft den »Jedermann« von Hofmannsthal. Die Sprache dieses Mysterienstückes ist eine schwer verständliche Stilisierung. Ich als Übersetzer quälte mich eine Zeitlang und begann einen eigenen Text nach den Motiven zu schreiben. Kornelius, nach deinen Gefühlen, versteht der heutige Mensch dieses Meisterwerk?

CO: Du kennst die Geschichte des »Jedermanns«. Nach dem Krieg, nach dem Verlust des Imperiums, waren die Österreicher sehr bedrückt. Man musste neue nichtmaterielle Orientierungen finden, um den Österreichern wieder Mut zu machen. Auch Hofmannsthal hat diese altenglische Moritat nicht nur einfach übersetzt, sondern schrieb ein neues. Heute ist der »Jedermann« nicht nur ein Klassiker der österreichsichen Literatur, sondern zählt zu den Werken, die jedes Schulkind kennt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die heutigen Zuschauer Schwierigkeiten haben, die stilisierte Sprache dieses Dramas zu verstehen.

AK: Auffallender Weise ist zu Beginn des 20 Jahrhunderts die Weisheit vom Westen in den Osten gewandert und nicht so, wie es früher war.

CO: Wie es scheint, begibt sich die Weisheit dorthin, wo sie fehlt. Das ist so wie beim Gas, dass den freien Raum ausfüllt.

AK: In einem deiner Interviews hast du gesagt, dass das Leben Energie ist. Bedeutet dieses vollkommene Aufgehen in der Rolle auf der Bühne nicht ein Vergeuden von Energie?

CO: Das Leben ist Energie, die immer wieder erneuert wird. Aber man muss sie mit Verstand einsetzen. Ein sinnloses Vergeuden seines Lebens führt dazu, dass der Himmel es dir wegnimmt. Das ist der eigentliche Sinn des Stückes.

AK: Glaubst du, dass Gott eben aus diesem Grund Jedermann des Lebens beraubt?

CO: Ich glaube, dass die Lebensweise Jedermanns ein gutes Beispiel dafür darstellt. Gott nimmt ihm das Leben und will uns damit etwas sehr wichtiges lehren und uns dazu zwingen, darüber nachzudenken, wir gehen in die andere Welt nur mit unserem Gewissen und Glauben. Wir können weder die Freunde, die Frau noch das Geld dorthin mitnehmen.

AK: Ist Jedermann die Verkörperung der Sünde, dass man Gott vergessen hat?

CO: Was Sünde bedeutet, entscheidet jeder für sich selbst. Gott hilft nur dabei, wie weit wir die richtige Wahl treffen. Ich kann in der Kirche an Gott denken. Ich kann aber auch an Gott denken, wenn ich Obdachlosen, Alkoholikern, Menschen, die in Not geraten sind, helfen kann, aber nicht, wenn ich den Weihrauch in jenen dafür zugewiesenen Plätzen einatme.

AK: Aber in der Kirche ist es leichter.

CO: Wenn es leicht ist, das heißt, ist es nicht ganz richtig.

AK: ?!

CO: Schau her: der Mensch kann eine gute Tat tun, auch wenn er kein einziges Gebet kennt.

AK: Natürlich.

CO: Es kann aber auch sein, dass ein Mensch regelmäßig und fleißig die Kirche besucht, aber zum Beispiel ein raffinierter Sadist ist.

AK: Das ist möglich.

CO: Die nächste Frage? (lacht)

AK: Im »Jedermann« von Hoffmansthal wird jener bestraft, der dem armen Nachbar nicht hilft, der schuldig ist, dass der Schuldner, der nicht rechtzeitig seine Schuld bezahlen kann, ins Gefängnis kommt und der seine sterbende Mutter nicht besucht. Die Kirche wird nicht erwähnt.

CO: Ich schlage vor, darüber nicht zu sprechen. Gottgefällige Taten kann man machen, auch wenn man Atheist ist. Erinnern wir uns an Diderot: die Existenz Gottes ist genau so unbeweisbar wie seine Nichtexistenz. Der Mensch hat die Möglichkeit, sich zu entscheiden: An Gott zu glauben oder nicht.

AK: Aber?

CO: Aber der Mensch hat keine Wahl. Was soll er tun!

AK: Wie ist dies zu verstehen?

CO: Für jeden falschen Schritt wird man bestraft. Für Jeden falschen Schritt!
AK:Wie?

CO: Mißerfolge, Probleme in der Arbeit, Probleme mit der Familie und mit der Gesundheit. Jedes beliebige Problem, jede Unanehmlichkeit zeigt, dass wir irgend etwas nicht so gemacht haben, wie es sein sollte.

AK: Ist der richtige Schritt ein Ansporn?

CO: Warum? Richtige Schritte, richtige Taten sind die Norm. Erwartest du dafür ein Geschenk, dass du atmest? Deine richtigen Handlungen sind an und für sich schon Geschenke, sie sind ein Zeichen dafür, dass du etwas in diesem Leben verstanden hast, dass du auf dem richtigen Weg bist. Wozu braucht man noch Ermunterungen? Das Können und die Möglichkeit, mit seinem Talent und seiner Meisterschaft den Menschen seine Arbeit zu schenken, das ist schon ein Geschenk.

AK: Und das Geld?

CO: Wenn du an Geld denkst, wirst du nie eines haben.

AK: Jedermann denkt nur an Geld, und daher verliert er es?
CO: Hofmannthal zeigt sehr deutlich, dass derjenige, der viel Geld besitzt nicht der Besitzer des Geldes ist, sondern der Sklave des Geldes. Die Reichen sind die Personen, die das Finanzsystem bedienen. Das sind die unglücklichsten Menschen der Welt. Es gibt auch unter den wohlhabenden Menschen solche, die auch ohne Geld leben können, aber dies sind nur Einzelne. Das sind jene, die die Macht des Geldes erkannt haben und mit ihr zu rechtkommen.

AK: Konnten sie sich von der Vormundschaft befreien?

CO: Sie konnten sich gewissen ökonomischen Gesetzen unterwerfen.

AK: Welchen?

CO: Ich habe einen Bekannten, er ist Besitzer einer Bank. Es ist keine große Bank, sie beschäftigt sich mit Mikrokrediten in Entwicklungsländern. Ein Beispiel wäre ein Dorf in Namibia. Die Menschen verfügen dort über gewisse Fertigkeiten, aber es fehlt an Material, um eine Produktion aufzuziehen. Dort braucht man keine Millionen für Investitionen sondern einen Lastwagen, den man um 200 bis 300 Euro mieten kann. Das ist eine sehr oberflächliche Experten-Analyse. Dann entsteht das Problem mit dem Absatz. Dafür gibt es auch Geld für sehr geringe Zinsen. Der Bank, die eine gewöhnliche Finanzdienstleistung erbringt, aber mit armseliger »Belohnung« die Unkosten decken muss, bleibt fast kein Reingewinn.

AK: Das ist aber ein ziemlich riskantes Geschäft.

CO: Wenn man an Geld denkt, dann stimmt es. Aber wenn man daran denkt, dass man jemandem damit hilft, seinem Leben einen Sinn zu geben…… Zum Beispiel es kommt jemand in eine solche Bank, der zu einer List greift oder der einfach nicht imstande ist, das Geld zurück zu geben, das er aufgenommen hat. Was macht in diesem Fall eine gewöhnliche Bank?

AK: Sie gibt ihm keinen Kredit.

CO: Das ist richtig. Aber die Bank meines Freundes hilft demjenigen, der etwas machen will, aber nicht weiß wie; und sie steht ihm mit Schulung und Hilfe bei. Verstehst du den Unterschied?

AK: Aber benötigen alle diese Hilfe?

CO: Nein. Ich war mit meinen Freunden, eine Gruppe freiwilliger Helfer der Caritas unterwegs, um einen Ort der Wiener Obdachlosen aufzusuchen. Das Wetter war sehr schlecht, zwischen Null und Minus drei Grad Celsius. Es war Nacht. Wir hatten eine Ausrüstung, Schlafsäcke und warmes Essen mit. Wir konnten daher auch jenen Schlafplätze anbieten, die keine hatten. Glaubst du, dass alle jene, die wir angetroffen haben und denen wir unsere Hilfe anboten, bereit waren sie anzunehmen?

AK: Glaube fast nicht.

CO: Bravo, alle Achtung! Ungefähr jeder Vierte verzichtete auf unsere Hilfe und zog es vor, die Nacht auf der Straße zu verbringen und zu frieren. Ich kenne jemanden, der aus Prinzip seit 25 Jahren auf der Straße lebt, obgleich er sich eine Wohnung leisten könnte.

AK: Wurden die psychische Zurechnungsfähigkeit dieser Personen überprüft?

CO: An diesen Fahrten nehmen manchmal Psychologen und Psychiater teil. Aber es gibt auch andere Leute: du kannst in Salzburg einem Zigeuner deine letzten Cent geben, aber an Stelle von Dankbarkeit ist er beleidigt.

AK: Er weiß ja nicht, dass diese zehn Cent deine letzten sind.

CO: Natürlich. In diesem Zusammenhang ist der Dialog Jedermanns mit seinem armen Nachbarn sehr bezeichnend. Der arme Nachbar bittet nicht um ein Almosen, sondern er bittet um viel mehr, er möchte die Hälfte des Geldbeutels haben. Das ist Unsinn. Es gibt Menschen, denen es leichter fällt, ihr Leben als die Freiheit zu riskieren. In der bürgerlichen Gesellschaft gibt es davon nicht weniger als in den Entwicklungsländern. In Rußland war es auch so, soviel ich mich an die Ereignisse der neunziger Jahre des vorigen Jahrhundert erinnern kann. Was passiert jetzt?

AK: Freiheit bedeutet immer Verantwortung. Vielleicht sehnen wir uns nach Verantwortungslosigkeit?

CO: In Österreich hatten wir in den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts dieselben Probleme.

AK: Als Österreich ein Teil Deutschland werden wollte.

CO: Jetzt will Österreich dasvielleicht gefühlsmäßig, aber keinesfalls in der Realität. Das ist normal. Es ist aber nicht normal, dass man in dieser Sache Komplexe bekommt.

AK: Empfindet Österreich irgendwelche Komplexe?

CO: Wie derzeit in Russland so erging es auch Österreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Österreich verlor ein Riesenreich, den Kaiser, Geld und Einfluß. So ein Ereignis geht nicht spurlos vorbei.

AK: Das heutige Österreich zählt zu den glücklichsten Ländern der Welt. Wien gehört zu den lebenswertesten Städten auf diesem Planeten neben Toronto. Warum sollen die Österreicher nicht stolz darauf sein, was sie jetzt besitzen?

CO: Hier haben wir es mit einem Problem des Dualismus mit zwei verschiedenen Verhaltensweisen zu tun. Nach außen hin sind wir bescheiden, innerlich aber stolz. Solange du Ausländer und Tourist bist, Geld ausgibst und nicht versuchst, einen Platz in der Hierarchie des Landes einzunehmen, begegnet man dir mit Achtung und ist von dir begeistert. Sobald du aber versuchst, dich in das Alltagsleben zu integrieren, spürst du sofort eine unerklärliche Abweisung.

AK: Warum?

CO: Es ist immer angenehm, Geld entgegenzunehmen, aber es ist unangenehm, etwas dafür zu geben. Als Beispiel kann man Kitzbühl anführen, wo heute die reichen Russen sehr viele Immobilien kauften. Kannst du dir vorstellen, was ein Kitzbühler Bürger darüber denkt?

AK: Sehr schwer.

CO: Er denkt so darüber: Ich baue ein Hotel und verkaufe es an Russen. Aber ich will nicht, dass die Russen in irgendeiner Art und Weise auf das Leben meiner Stadt Einfluß nehmen.

AK: Die Russen sind sehr anpassungsfähig. Wir sind überhaupt eines der anpassungsfähigsten Völker. Das russische Volks besitzt einen ausgeprägten Nationalstolz und ein großes kulturelles Erbe. Das kann sich vielleicht ein Kitzbühler-Bürger schwer vorstellen.

CO: Alexander lass uns zum vorigen Beispiel der Obdachlosen zurückkehren. Glaubst du, dass irgendwer in den österreichischen Dörfern die reiche russische Kultur braucht?

AK: Ich habe verstanden.

CO: Bravo. Geld wird gebraucht. Wozu Kultur, Brauch und Sitten?

AK: Wozu braucht man dies? Ohne den Einfluß verschiedener Kulturen, der Stilarten, der Sitten und der Traditionen gibt es keine Entwicklung.

CO: Du verstehst dies darunter! Wer versteht dies noch? Wer denkt heute noch über Weiterentwicklung nach? Wie du weißt, gab es in unserer Geschichte das »Biedermaier«.

AK: In Rußland wurde dieser Stil verächtlich als Stil des Spießbürgertums bezeichnet.

CO: Wenn ich mich nicht irre, gibt es ein Theaterstück von Gorkij mit so einem ähnlichen Titel.

AK: Es gibt es.

CO. Dieser Stil stellt eine Reaktion auf die Wehrlosigkeit gegenüber globalen Prozessen dar, die keine Rücksicht auf das menschliche Leben nahmen.

AK: In Rußland ist es heute nicht mehr üblich, seinen Nachbarn zu grüßen.

CO: Das ist eine freiwillige Isolation, wenn dem Menschen nichts mehr aufregt außer seinenpersönlichen Problemen, wobei die Probleme nicht weltanschaulicher Art sind sondern simple Alltagsprobleme.

AK: Ist es deine Meinung, dass Österreich im zwanzigsten Jahrhundert einen sozialen und wirtschaftlichen Erfolg erzielt hat, aber ein kleinbürgerliches Land geblieben ist?

CO: Es ist nicht wichtig, was ich meine. Wichtig ist, dass wir eine erstaunliche Form von Xenophobie haben, die als Teil unserer Kultur im Verlauf von Jahrhunderten entstanden ist.
Dass Österreich heute Flüchtlinge aufnimmt, ist der Wille der Regierung, aber nicht der Wille des Volkes. Das Volk braucht neben sich keine Menschen mit Gewohnheiten und Präferenzen, die es nicht versteht, obwohl sie dies infolge ihrer Benehmenskultur nicht zeigen. Ich persönlich kenne Leute, die mit dir nicht sprechen wollen, wenn sie deinen slawischen Akzent hören. Sie tun dies sehr höflich, aber du fühlst dich trotzdem als ein Fremdkörper in ihrer Kultur.

AK: Welche Leistungen?

CO: Persönliche, versteht sich. Du kannst den Leuten nicht erklären, wie man zu leben hat, wenn du selbst nicht imstande bist, dein eigenes Leben zu organisieren. Das ist vielleicht nicht angenehm, sich dies einzugestehen, aber es ist logisch. Zeige, wohin haben dich dein Verstand, deine Ansichten von den Dingen, dein feinfühliges Wesen geführt. Erst dann werden wir entscheiden, ob wir auf dich hören sollen oder nicht.

AK: Cornelius, aber eine solche Herangehensweise kann das Land kulturlos werden lassen.

CO: Fühlst du, dass es in Österreich zu wenig Kunst gibt?

AK: Nein, natürlich nicht.

CO: Vielleicht fühlst du einen Mangel an Kultur?
AK: Ich habe verstanden

CO: Das heißt: dieser Zugang funktioniert. Das bedeutet, dass die Filterung von verschiedenen Wissen, Fertigkeiten und Erfahrung ein positives Resultat bringt. Es geht nicht darum, dass Menschen ohne Erfolg nicht gebraucht werden, dass erfolgreiche Menschen wissen, wie man die Welt zum Besseren verändern kann. Das Geheimnis ist aber, dass die Welt für die Erfolgsmenschen nur ihre eigene Welt ist, aber nicht der ganze Planet. Wichtig ist, dass man seine Sache gut macht und seine Wahrnehmung der Welt niemandem aufdrängt.

AK: Jedermann lehnt es ab, den Menschen zu helfen. Aber er drängt jedem seine Wahrnehmung der Welt auf. Ist es nicht so?

CO: Wenn man etwas tut, worum man dich nicht bittet, das ist Aufdrängen. Ich habe einen Freund, der Alkoholiker ist. Ich kann ihm tausend Euro zum Leben geben, wissend, dass ich das Geld nie zurückbekommen werde. Es tut mir nicht um das Geld leid, aber sag mir, was macht er damit?

AK: Er verdrinkt es.

CO: Hundertprozent. Das bedeutet, dass meine finanzielle Hilfe ihm in diesem Fall das Leben kosten kann.

AK: Aber was soll man tun?

CO: Helfen soll man jenen, die sich nicht selber helfen können. Aber es wäre der bessere Weg, wenn sie arbeiten und ihr Leben ändern möchten. Ganz einfach.

AK: Cornelius, wenn du die Bühne betrittst, fühlst du, wie du die Umgebung beeinflußt, dass du die Menschen änderst, die ins Theater gekommen sind?

CO: Ich beabsichtige das nicht. Das ist unbescheiden. Aber wenn nur ein einziger Zuschauer während des eineinhalbstündigen Stückes über sein Leben nachgedacht hat, dann weiss ich, dass ich eine gute Arbeit gemacht habe.

AK: Was erwartest du vom Zuschauer?

CO: Applaus

AK: Die Leute können applaudieren, weil gerade die Zeit dafür gekommen ist.

CO: Vor der Aufführung gehe ich zu den Kulissen und schaue durch das Guckloch in den Zuschauerraum: schaue mir die Gesichter an, versuche zu erraten, mit welchem Publikum ich es heute zu tun habe.

AK: Ist die Stimmung im Saal schwer einzuschätzen?

CO: Natürlich. Es kommt immer der gleiche Typ von Leuten: Angestellte mittleren Alters, die müde von der Arbeit kommen. Ihre Frauen haben sie ins Theater geschleppt (»warum«). Das ist ein merkwürdiges Publikum, das imstande ist, eine Aufführung zu schmeißen. Damit das nicht passiert, muss ich ihnen die Möglichkeit geben, es nicht zu bedauern, dass sie ihren Abend nicht so verbracht haben, wie sie es geplant haben: vor dem Fernseher bequem in einem Fauteuil mit einem Glas Bier zu sitzen, sondern im Halbdunkel einem zum Teil unverständlichen Text zu lauschen.

AK: Warum?

CO: Wenn ein Kind bittet, ihm Geschichten zu erzählen, so kann man das nicht ablehnen. Verstehst du das?

AK: Heißt das, dass der Zuschauer im Saal ein Kind ist?

CO: Er ist bereit, Märchen zu hören? Die Zuschauer verlangen nach einer guten Geschichte, die ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Alltags-und Arbeitsleben zu verlassen und um Emotionen zu spüren, die sie nie bei ihrer Arbeit erleben. Auch bei Wohltätigkeitsabenden, die den Opfern des Holocaust gewidmet sind, wollen die Menschen nicht von Neuem das Leiden durchleben. Sie wissen, dass sie zu dieser Abend-Veranstaltung gekommen sind, um Geld zu spenden. Aber für ihr Geld wollen sie nicht von Neuem leiden. Ich erzähle ihnen jüdische Anekdoten, lese Erzählungen vor und gebe ihnen die Möglichkeit zu lachen. Vielleicht unter Tränen. In der Welt gibt es nicht viel Freude. Das soll man nicht vergessen.

AK: Du spieltest in mehr als vierzig Filmen und Fernsehserien. Ist das Arbeiten im Theater schwieriger als im Film?

CO: Es hängt alles von der Story ab. Im Theaterstück gibt es immer einen zeitlichen Ablauf in der Entwicklung einer Handlung. Bei Filmaufnahmen kommt es oft vor, dass du zuerst den Tod deines Helden spielen musst und nachher folgt die Hochzeit. Das ist schwierig.

AK: Dein Lieblingsheld?

CO: Kein Spießbürger. Für mich ist es nicht interessant, eine Person zu spielen, die aufsteht, frühstückt, in die Arbeit geht, nach Hause kommt, fernschaut und sich niederlegt. Mich interessiert jener Mensch, der sich in das Leben einer Person einmischt, der sie zwingt, die Eintönigkeit dieser eingeführten Ordnung der Dinge zu ändern.

AK: Cornelius, bist du manchmal unvernüftig?

CO: Ich bin nicht vernünftig (Lacht).

AK: Was bedeuten Frauen in deinem Leben?

CO: Ohne Frauen können wir Männer so Furchtbares anrichten, dass das Leben auf der Erde aufhört. Wir kennen nicht den wahren Wert des Lebens: wir gebären nicht. Den Wert des Lebens kennen nur die Frauen. Und nur sie können uns dieses Wissen mitteilen.

AK: Was ist Furcht?

CO: Seine eigene Schwäche zu erkennen. Wichtig ist daran zu denken, dass Angst ansteckend wirkten kann. Wenn du etwas fürchten willst, fürchte dich vor dir selbst.

AK: Vielen Dank für das Gespräch.

CO: Ich wünsche dir viel Erfolg bei der Übersetzung des »Jedermann« ins Russische.